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Requiem in Reisekoffern

Wagdy El Komy
Ala' Hamameh, A Suitcase Memory, 100 x 120 cm, mixed Media auf Leinwand (2017)
© Ala' Hamameh, A Suitcase Memory, 100 x 120 cm, mixed Media auf Leinwand (2017)

Als der Tag des Abflugs feststand und er das vom Hohen Europäischen Kommissariat abgestempelte Schengen-Visum in seinem Reisepass sah, machte sein Herz vor Freude und Entzücken einen Sprung. Er beschloss, das glückliche Ereignis gebührend zu feiern, und zwar in seiner Stammkneipe, wo er sich mit Haschisch zudröhnen und so von seinen Sauf- und Rauschkumpanen Abschied nehmen wollte.

Seine Schritte führen ihn in eine Seitenstrasse. Von dort ging es weiter in eine Gasse, welche sich wiederum zu einem Gässchen verengte. Er war froh und fühlte sich prächtig, sein Kopf hatte sich bereits an die Tatsache des gültig abgestempelten Visums gewöhnt. Als ein Passant ihn anrempelte – es war ein kleiner und kümmerlicher Mensch in einer verschlissenen Galabija –, liess er sich davon nicht stören, sondern setzte seinen Weg zur Haschischhöhle unbeirrt fort.

Dort empfing ihn eine Reihe verrauchter Grüsse.

«Was ist denn mit dir passiert!?» rief einer seiner Freunde. «Bist du weggezogen? Seit Monaten lässt du dich hier nicht mehr blicken!»

«Zwischen den Konsulaten bin ich hin und hergerannt, habe Formulare ausgefüllt und alle möglichen Bescheinigungen und Zeugnisse rausgesucht, um an ein Visum zu kommen», antwortete er, während er einen tiefen ersten Zug aus der Wasserpfeife nahm und sich die Lunge mit Haschisch füllte.

«Und wisst ihr was? Mit Gottes Hilfe hat's geklappt! Ich bin hier, um mich zu verabschieden, meine Lieben.»
Er wurde mit Glückwünschen geradezu überschüttet. Einer rief ihm zu:

«Einfach fort? Diese Hölle, du willst sie tatsächlich verlassen?! Wehe dir! Wie kommst du auf die Idee, dass gerade du deinem Schicksal entrinnst?»

Er achtete nicht weiter auf die Frage, sie schien ihm ein Teil der Abschiedszeremonie zu sein. Die Wasserpfeife wanderte eben aus seiner in die Hand eines Gefährten, als sich im schummrigen Licht ein Gesicht zu ihm beugte.

«Ist es denn wahr, Professor?» fragte der Mann mit einem mürrisch-grobschlächtigen, dabei gleichzeitig zutiefst verzweifelten Ausdruck.

«Gibt es wirklich eine Möglichkeit, aus diesem Land wegzukommen?»

Wie es seine Gewohnheit war, unterzog er den Fragenden sogleich einer aufmerksamen Prüfung. Je nach Resultat unterteilte er die Menschen in verschiedene Kategorien. Waren sie schäbig gekleidet, stufte er sie als niedrig und bedeutungslos ein. Traf er aber auf ein hübsches und wohlgeformtes Gesicht, das nicht vom Elend spröde und durch die immerwährende Schichtarbeit ausdruckslos geworden war, dann lag auf ihm unweigerlich der Segen einer grosszügigen und wohlhabenden Familie. Als er des groben Ausdrucks und der gequälten Augen neben sich ansichtig wurde, murmelte er unwillkürlich:

«Im Namen des Barmherzigen, es gibt keine Kraft ausser in Gott.»

Das war die Formel, um sich vor Neid zu schützen.

Nachdem die Wasserpfeife zwei weitere Male an ihm vorbeigezogen war und er jeweils kräftig daran gezogen hatte, sprach er mit einem zufriedenen Lächeln:

«Meine Lieben, auch in der Fremde ist ein Auskommen. Die Würfel sind gefallen. Wenn auf dich in einem anderen Land das Glück wartet, so wirst du es finden. Achte darauf, was auf deiner Stirn geschrieben steht – denn deine Augen werden die Schrift entziffern!»

Hatte ihm das Schengen-Visum hier nicht gerade eine tiefe Weisheit eingegeben? Selbstzufrieden hob und senkte sich seine Brust, Rauch entwich seinen Nasenlöchern. Als er husten musste, tätschelte er sich den Brustkorb, derweil der gültig abgestempelte Reisepass ihm warm auf dem Herzen lag.

Mit einem mächtigen Sonnenstrahl kündigte sich der Morgen an. Es war an der Zeit, die Kneipe zu verlassen. Unwillkürlich schlugen seine Füsse den Weg zum Friedhof ein. Den Kopf noch voller Nebel und Rauch, betrachtete er den Grabstein seiner Eltern mit einem Gefühl der Ruhe und Befriedigung. Er streckte Hände und Arme hoch zum Himmel, um die Fatiha zu rezitieren, doch seine Glieder waren zu schwer dafür. Also liess er sie wieder sinken und sprach im Flüsterton weiter, ab und an unterbrochen von einem Windstoss und dem fernen Bellen eines Hundes. Er schloss mit der Beschwörungsformel zum Schutz vor den Heimsuchungen des Teufels, wiederholte die Fatiha und pries die Stärke und Macht Gottes.

«Oh Herr, befreie uns von diesem Land mit seinen tyrannischen Menschen», sagte er und labte sich an der frischen Morgenluft, als mit einem Mal ein ganz anderes Gefühl in ihm hochzusteigen begann. Er starrte auf den Grabstein seiner Eltern und las die Inschrift: Hier ruhen in Gott der verstorbene Sajid Sajjid al-Baghdâdi und seine Frau Hajjah Sainab Mahmud Nasr Jassîn.

Der Gedanke, dass er das Grab seiner Eltern nicht mehr besuchen konnte, machte ihn traurig. Er fasste sich ans Herz, unbewusst aber langte er nach dem Reisepass. Es nützte nichts. Sein Herzrasen verkündete gerade das Gegenteil von Freude und Entzücken.

«Ich werde die Erde verlassen, welche die Überreste meiner Eltern in sich birgt», sprach er zu sich selbst, von Kummer überwältigt.

Dann entfernte er sich eilig vom Grab, als fürchtete er, ein Dämon würde dort Besitz von ihm ergreifen. Seine Gedanken ordnend, fragte er sich, woher der plötzliche Kummer kam. Sollte er nicht locker und entspannt sein vom Haschisch? Weshalb drängte die Sorge alles bei Seite? Vielleicht sind die Gräber daran schuld, sagte er sich, und rannte aus dem Friedhof, als hätte ihn ein Skorpion gestochen. Unterwegs traf er auf einen mobilen Imbiss. Auf die übliche folkloristische Art in Rot und Grün gestrichen, wurde hier das lokale Bohnengericht feilgeboten. Hinter dem Wägelchen aber fand er den grobschlächtig-mürrischen Kollegen aus der Haschischhöhle wieder, nur dass er seine Rolle gewechselt hatte und nun in geradezu begeisterter Manier unter den sehnsuchtsvollen Blicken seines hungrigen Publikums Leinsamenöl über dampfende Bohnen träufelte. Er reihte sich unter die anderen Gäste ein, die hier ein warmes Frühstück vor der Arbeit einnahmen – und bestellte gleich das ganze Menü rauf und runter. Er bestellte Bohnen mit etwas Leinsamenöl, Essig-Tomaten, gebratene und in Knoblauch eingelegte Auberginen, gekochte Eier, frittierte Falafel, die bestimmt hundert Mal in einer Pfanne gewendet worden waren, bis sie die Farbe der Nacht angenommen hatten, dazu etwas Brunnenkresse, und Frühlingszwiebeln, und gebratene scharfe grüne Paprika, und zum Abschluss noch fünf, sechs Scheiben Brot, von denen er sorgfältig die Kleie abrieb, damit er beim Essen wegen seiner Kleienallergie nicht zu husten anfing – ein Husten, der jeweils zum Brechen führte. Die Allergie begleitete ihn seit seiner Kindheit und niemand war in der Lage gewesen, ihn davon zu heilen. Jetzt aber stürzte er sich auf die Speisen mit einer Vehemenz, als würde er sich nicht von seinem Land, sondern von der ganzen Welt verabschieden.

Er reichte dem Bohnenmann und Haschischgefährten das Geld, und nun hatten Freude und Entzücken endlich gesiegt. Die Kummerwolken, die sich am Grab der Eltern über sein Gemüt geschoben hatten – sie waren fort.

Doch schon nach wenigen Schritten verkrampfte sich seine Brust. Das Herz pochte wie wild. Er tastete nach der Innentasche und fand den Reisepass sicher verwahrt, in seine Seiten eingestempelt das Schengen-Visum, das ihn nach Europa führen und endlich seine Hoffnungen erfüllen würde. Doch die Unruhe wollte nicht verfliegen.

«Eine Nacht in der Kneipe und ein göttliches Frühstück», sagte er zu sich selbst, «was braucht ein einfacher Mann denn noch, um glücklich zu sein?»

Kurz darauf stand er vor seiner Wohnung. Seine Füsse hatten ihn sicher ans Ziel gebracht.

«Vielleicht eine Frau, vielleicht Sex», murmelte er, den Schlüssel ins Schloss steckend, noch immer auf der Suche nach einer Antwort. Sogleich zog er den Reisepass heraus, schlug die Seite mit dem Visum auf, und fuhr mit den Fingerspitzen über den aufwändigen Stempel. Freude und Entzücken rieselten durch seinen Körper.

Er warf sich aufs Bett und flüsterte das Wort «Schengen», als ob darin eine Antwort auf seine Fragen läge. Gleichzeitig betrachtete er die Wände des Schlafzimmers, die vom Boden bis zur Decke mit Regalen vollgestellt waren, aus denen die Bücher geradezu hervorquollen. Nicht mehr lange, und einige Bände würden herunterfallen, der Platz war schlicht zu knapp bemessen, und die Last zu gross, um alles fassen zu können. Ein Sinn von drohendem Verlust kehrte zurück. Was musste er nicht alles zurücklassen. Seine Bücher, die Asche seiner Eltern, das Frühstück beim Bohnenmann, die Haschischhöhle. Und all die vielen Gassen, deren Pflastersteine sich in seine Füsse eingeprägt hatten, und die Strassen, die er Hand in Hand mit seinen Schulkameraden entlanggeschritten war, um in der grossen Stadt nicht fehlzugehen. Jetzt, mit fünfundvierzig Jahren, würde er wie ein Kind ganz von vorne anfangen müssen. Neue Strassen und Wege erkunden, Orte der Entspannung und des Vergnügens entdecken, Freundschaften schliessen, Intimitäten finden, überhaupt sein Herz wieder Gefühle der Vertrautheit für die unmittelbare Umgebung und für Nahestehende lehren müssen. Allmählich begann ihm zu dämmern, was da auf ihn zukam. Furcht und Entsetzen, nicht etwa Freude und Entzücken, warteten auf ihn, tauschte er doch alles ein, all die bekannten Gesichter, den Kellner, den Obst- und Gemüseverkäufer, den Metzger, die Handwerker aus der Handwerkerstrasse. An ihre Stelle würde eine unpersönliche Bedienung in einer Bar treten, die nicht das Geringste mit einer Tasse türkischen Kaffees am Hut hätte. Zwischen den Regalen im Supermarkt würde er mutterseelenallein stehen, und wahrscheinlich würde er sein Obst und Gemüse selbst abwägen und überhaupt am Schluss die Rechnung begleichen müssen, ohne ein einziges witziges Wort mit einem Verkäufer oder einer Angestellten ausgetauscht zu haben … und die Sprache … wie sollte das überhaupt gehen, eine derbe Bemerkung in einer vollkommen fremden Sprache formulieren?! Und wäre denn diese Sprache in der Lage, sich in all diese kleinen Gemeinheiten und Witze, in den hintersinnigen Spott so geschmeidig zu fügen, dass man gleich darauf wie mit Kugeln aus einer Kalaschnikow um sich schiessen konnte? Hatte er denn nochmals ein ganzes Leben zur Verfügung, um es zur Meisterschaft in der Sarkasmus-Disziplin einer anderen Zunge zu bringen?

Und dann … das Haschisch … und die Haschischkneipe. Wo gäbe es jemals eine Entsprechung für den blauen Dunst, für dieses matte, selbstvergessene Glück?

Draussen hatte sich das Tageslicht durchgesetzt, doch anstatt wie üblich einzuschlummern, störte es ihn. Mit trocknen Augen starrte er auf das Visum und suchte nach irgendeiner Lösung. So verging der Tag, ohne dass er sich in der Lage sah, aus dem Bett zu steigen. Schlafen konnte er ebenso wenig. Schliesslich hatte er so lange auf das Visum gestarrt, bis er einen Entschluss fasste. Er begann mit den Büchern.

Nachdem er eine Reihe grosser Koffer angeschleppt hatte, begann er, ein Buch nach dem anderen zu verstauen. Fünf ganze Tage lang arbeite er konzentriert und geduldig, dann waren seine Regale leer, und die Bibliothek war bis auf den letzten Band verpackt. Am Ende stand er vor elf Koffern. Wie er damit zum Flughafen gelangen und weiterreisen sollte, wusste er nicht. Dass er ein vorgegebenes Gewicht für das Reisegepäck nicht überschreiten durfte, kam ihm ebenso wenig in den Sinn. Getrieben von seiner Idee, war er blind für alles andere.

Als nächstes kamen die Strassen an die Reihe. Der Belag, der sich seinen Füssen eingeprägt hatte und der ihm teuer geworden war, er musste ihn aufbrechen. Die Nacht war der richtige Zeitpunkt, um mit dieser schwierigen Aufgabe zu beginnen. Er löste einen Asphaltbrocken aus der Strasse und beförderte ihn geduldig zum Transporter, den er eigens dafür gemietet hatte. Den Belag bearbeitete er mit einer Spitzhacke und verursachte dabei einen Lärm, dass die Leute unweigerlich stehenblieben. Sogleich ignorierten sie jedoch, dass er tatsächlich dabei war, ihre Strassen aufzureissen, kannten sie ihn doch sonst als einen gefassten und vernünftigen Menschen, heiter und fröhlich im Umgang mit den Nachbarn, stets bereit zu einem freundlichen Austausch oder einer witzigen Bemerkung. Freilich, oft genug wirkten seine Worte herablassend, vielleicht ungewollt, aber das änderte kaum etwas daran. So kam es auch, dass einigen Passanten, die genug hatten von seiner Arroganz, der Kragen platzte. Der Ärger wanderte zu den Behörden, kurz darauf stürmte die Polizei seine Wohnung. Mit nacktem Entsetzen blickten die Beamten auf die riesigen Asphaltbrocken, die in Koffern gestapelt herumlagen und seine Wohnung bis zur Decke ausfüllten.

Nach einer hastigen Untersuchung und einer Nacht, die er in Verwahrung zubrachte, entschied die Staatsanwaltschaft, ihn laufen zu lassen. Dies unter der Bedingung, dass er der Nachbarschaft eine Entschädigung für den ruinierten Strassenbelag entrichtete. Tatsächlich fand er in seiner Wohnung einen Bescheid mit einem genauen Geldbetrag.

«Die Heimat hat mir das Herz gebrochen, weil die Heimat für mich nur ein Herz aus Stein übrig hat.» Mit diesen Worten beglich er seufzend die Rechnung, und machte sich sogleich auf, Dinge herbeizuschaffen, die noch weitaus erstaunlicher waren als Strassenpflaster.

Schnurstracks begab er sich zum Bohnenmann und bat ihn, ihm den Wagen zu verkaufen.

«Was genau wollen Sie kaufen, Professor?» fragte dieser. «Den Imbiss? Meinen Sie damit das Wägelchen, das ich durch die Strasse schiebe?»

Er nickte, während er genüsslich auf einem Bissen Bohnen kaute, und eine mit Frühlingszwiebeln garnierte, gebratene Aubergine hinterherschob, dazu einige eingelegte Tomaten, und ein in ranzigem Öl gebratenes Bohnen-Falafel-Bällchen. Der Bohnenmann betrachtete ihn verwirrt.

«Haben Sie nicht gerade ein Visum erhalten? Sind Sie nicht dabei auszuwandern?» fragte er.

«Ich möchte den Imbiss gerne mitnehmen.»

Der Bohnenmann schlug mit der Hand gegen das Aluminium des immensen Kochtopfs, der bis zu acht Kilogramm Bohnen auf einmal fasste.

«Wie heisst es doch so schön, ein Imbiss ist immer so gut wie sein Wagen», sagte er. «Bei allem Respekt, Professor, was wollen Sie in Europa mit einem Bohnen-Imbiss?»

«Er wandert mit mir aus! Glücklicherweise braucht das Wägelchen nicht einmal ein Visum! Ich schicke es einfach mit dem Schiff nach. Du brauchst gar nichts zu machen. Alles soll genau so bleiben, wie es ist. Das Essen, die Zutaten – einfach stehen lassen! Die Falafel-Bällchen, die Bohnen, die Kartoffeln, die Tomaten, der Brunnenkresse, die Frühlingszwiebeln, das ranzige Öl, alles, alles, einfach alles genau so!»

Der Bohnenmann machte einen Schritt zurück.

«Mein Herr und Professor», sagte er nach kurzem Zögern, «entschuldigen Sie, aber in diesem Wagen steckt ein Stück von mir, damit bestreite ich mein Leben, damit baue ich meinen Kindern eine Zukunft.»

Er tätschelte das Gefährt liebevoll. «Das Wägelchen ist wie meine Seele, es steht nicht zum Verkauf. Der Imbiss ist kein Gefährt für irgendwelche Abenteuer.»

Was klammerte sich der Bohnenmann plötzlich so an seinen Wagen? Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Ein Streit entbrannte. Den Mund noch voller Bohnen, spuckte er eine wütende Beleidigung nach der anderen aus:

«Du willst von Ehre reden? Würstchen unter anständigen Menschen? Auf die Ohrfeigen der Polizei und der Geheimdienste bist du doch geradezu abonniert! Und trotzdem schiebst du ihnen jeden Tag gratis den Teller über die Theke, damit sie dich ja nicht fertig machen. Dein lächerlicher Wagen, noch dem kleinsten Staatsangestellten leckst du deswegen den Dreck von der Sohle! Jedem Streifenpolizisten kriechst du in den Arsch! Und vor mir lässt du die Muskeln spielen? Machst einen auf gefühlvoll? Meine Seele, mein Schatz für die Zukunft? Willst du mich verarschen, oder was?»

Der Bohnenmann griff nach der Schöpfkelle:

«Habe ich dich nicht respektiert und dir einen anständigen Preis gemacht? Bei allem, was mir heilig ist: Wenn du nicht sofort verschwindest, schneide ich dir die Finger ab! Zusammen mit den Falafeln frittier ich dir jeden einzelnen!»

Unser Held tunkte einen letzten Bissen ins Leinsamenöl, und verliess seinen Posten am Bohnen-Imbiss. Das Wägelchen würde er sich nach Einbruch der Dunkelheit schnappen. Tatsächlich lauerte er dem Bohnenmann auf und verfolgte ihn bis zu einem Schuppen beim Maslaqan-Bahnübergang in Dokki. Dort verlor er ihn aus den Augen. So wie er überhaupt jeden Sinn für Gefahr einbüsste, während er die Örtlichkeit auskundschaftete und sich auf ein Abenteuer mit unkalkulierbarem Ausgang vorbereitete.

In der Nacht versuchte er die Kette zu knacken, mit welcher der Bohnenmann die Wagenräder am Zaun des Schuppens befestigt hatte. Er verriet sich durch ein Geräusch, und mit einem Mal fielen der Bohnenmann, seine Frau sowie zehn Kinder aller Altersstufen über ihn her. Er bekam einen Schlag mit dem Holzhammer ab, mit dem der Bohnenmann sonst die Bohnen zu Muss zermalmte, um sie weiter zu Falafel zu verarbeiten. Eine Blutfontäne schoss ihm aus dem Kopf. Erst im Krankenhaus kam er in den Armen einer Pflegerin wieder zu sich. Diese war zwar verschleiert, hatte aber eine attraktive Figur und verströmte einen Duft, der ihn auf unerklärliche Art und Weise erregte. Er konnte seinen Blick kaum von ihrem Gesicht mit den vollen, blutroten Lippen abwenden, während ein Arzt auf ihn einsprach und ihn nervös untersuchte. Im Hintergrund sass ein Offizier. Den Rauch einer Kleopatra-Zigarette gelangweilt ins Zimmer des staatlichen Krankenhauses blasend, wartete er darauf, ihn endlich verhören zu können.

«Kann er jetzt die Fragen beantworten?» sprach der Offizier, kaum dass er die Augen geöffnet hatte.

Der Arzt wedelte mit der rechten Hand vor seinem Gesicht herum, als könne er nicht recht glauben, dass er wieder zu Bewusstsein gekommen war. Unser Held seinerseits langte instinktiv nach der Jackentasche.

Der Reisepass war sicher verwahrt.

«Was soll die Geschichte mit dem Bohnenwagen?» Der Offizier hatte sich von seinem Stuhl erhoben. «Weshalb wolltest du ihn stehlen?»

«Die Kopfverletzungen lassen noch keine Befragung zu», sprach der Arzt schnell in Richtung des Beamten.

«Ich warte keine Minute länger», antwortete dieser gereizt, worauf der Arzt rasch von dannen zog, um keinen weiteren Ärger zu provozieren.

«Du kriegst noch einen Tag», sagte der Offizier mit einem wütenden Blick. «Wir stellen einen zusätzlichen Beamten ab. Danach wirst du verhört. Der Besitzer des Imbisses beschuldigt dich, sein Wägelchen gestohlen zu haben. Wärst du nicht rasch genug im Krankenhaus gelandet, hätte er dir gleich dort den Hals umgedreht.»

Der Offizier blies unserem Helden ein letztes Mal Rauch ins Gesicht und stapfte davon. In diesem Moment fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, die sterblichen Überreste seiner Eltern in einen Koffer zu verstauen, und dass überhaupt das ganze Fiasko mit dem Bohnenmann, dem Krankenhaus und der Polizei seine Reisepläne unnötig verzögerte. Dann sann er darüber nach, wie er dem Hausarrest entkommen könne. Als die Pflegerin ins Zimmer trat, fiel ihm erneut auf, wie schön sie war. Er betrachtete ihre Taille, blickte auf ihre Waden und ihre Brüste, und fragte sich, welche Sorte Reisekoffer sich wohl am besten für sie eignete.

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