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Avaşîn (Teil 2)

Azad Şîmmo
Übersetzung: Barbara Yurtdas

 

© Salam Ahmad, Acryl auf Papier, kein Titel (Ausschnitt)

 

Seit Jahrhunderten spricht hier die Fruchtbarkeit mit dem Boden

Weithin reichen deine prächtigen Haarzöpfe

Der Freiheitsdrang in dir möchte losgaloppieren

Dein Lächeln ist unerschöpfliche Unschuld

Und deine Sprache, welch große Weisheit

Deinem Gesicht sieht man den Mut deines Daseins an

Deshalb ist dein Strömen für mich der Sieg

Ströme du rauschend

Ströme rauschend dahin

Bleib bloss nicht stehen

Halt nicht an, Avaşîn

 

Mancher steht auf und geht fort in deiner Heimatlosigkeit

Mancher wartet hungrig und verzweifelt

Mancher sucht sich ein Ziel und schiesst auf die Berge

Mancher ist ein Leben lang allein und ohne Identität

Meinen eigenen Zustand kenne ich nicht

Deine Stimme kommt und steigt von den tiefsten Abhängen

Du begrüsst den Tag und fliesst weiter dahin, Avaşîn

Eine Locke fällt dir auf die feuchte Stirn

Ach wie schön bist du so, Avaşîn

 

Vögel wissen nicht, was Verbannung ist

Das Grün der Bäume wird nicht einfach zu Asche

Dabei wächst im Zentrum eine grosse Schwermut

Deine Kinder schreien laut, wenn das Bajonett ihren Körper streift

Deswegen ist der Munzur ständig in Panik

Der Euphrat krümmt sich

Der Frühling erbittet Leben von der Leidenschaft

Der Tigris trägt manchmal eine zarte Wüstenfarbe

Und manchmal ein Leichentuch, in Blut gewälzt

In der Gebetsrichtung des Himmels erstreckt sich ein Weg

Alles soll dir zum Gefährten geschliffen werden

Wie die Kraft des Zilan aus der Verbindung mit dem Zab kommt

So bist auch du eine wachsende Heimat, Avaşîn

 

Ich weiss, der Herbst ist die Jahreszeit der Schwermut

Ich weiss auch, du kleidest dich in der Farbe der Freude

Und bemühst dich im Herbst um die Blätter, die von den Zweigen fallen

 

An den Baumwurzeln sammelt der Wind das Rascheln

Für die Schneeglöckchen, die sich millionenfach vermehren

Ist dieser Widerstand millionenfach Hoffnung

Eine stetig wachsende Pracht

Die Träume sind voller Leben

In den Augen hast du Beispiele für Schlaf gesammelt

Und aller Zeiten Weisheit an deiner Brust gesäugt

Ich möchte dich bis in jeden Winkel auswendig kennen

Tropfenweise sammeln, was ich liebe

Dass meine Augen schauen ohne zu weinen

Vor allem in der Nacht küsse ich deine Zartheit

Dein Leben ist die Inschrift von jenen tausend Jahren

Und die Heimstatt des Herzens, das vor so viel Sehnsucht zerbrach

Nicht für Lügenleben, die zu Asche geworden sind

Vielmehr für eine Liebe, die an der Newroz-Blume entbrannte, Avaşîn

 

Die Hennaträume der Mütter sollen nicht schwarz werden

Dein Wind entsteht in den Haaren, die auf die Schultern der Töchter fallen

Wohin das Schwarze deiner Augen auch blickt

Überall bleibt deine rebellische Macht

Wenn dieses Leben nicht deins ist

Wessen ist es dann, Avaşîn

 

Rauch fällt auf die Abhänge deiner Berge

Und siehe, eine barmherzige Sonne erhellt den Morgen

Ist dieses Lieben nicht deine Herrschaft

Sei sicher, zu dir kommt alles Geliebte

Bleib nur nicht stehen

Wachse und wachse im Inneren der echten Heimat

Im Morgenrot wehend

Im Morgenrot wehst du, Avaşîn

 

Oft habe ich weder den Sinn des Gesagten verstanden

Noch die Wahrheit der Liebe erkannt

Ich bin auch bloss ein Mensch, der Fehler macht

Ich bin schuldig und fähig, ein Mensch zu sein

Deswegen zügele ich meine Sprache

Es kommt der Tag, an dem auch ich gehe

Doch du sollst immer bleiben, Avaşîn

Es kommt der Tag, da schweigt auch meine Stimme

Doch du sollst niemals schweigen, Avaşîn

 

Steh auf, Mensch, der du im Panzer der Taubheit gefangen bist

Steh auf, mein Mesopotamien, zum Märchen tausendfachen Entstehens geworden

Steh auf aus tiefem Schlaf, mein Stamm der Menschlichkeit

Schau doch, wer ist es denn, der stirbt

Wer tötet die Spatzen des Himmels

Weder die Erde nimmt diese Verbannung hin, noch mein Herz

Ach, wie viel tausendmal bin ich gestorben und wieder zum Leben erwacht

Ich bin der Stamm Kawa*, der Feuer mit Eisen verschmilzt

Ich bin der Mutterleib, der Abraham zur Wiege wurde

Meine Ehre ist, Zeuge zu sein für die Menschlichkeit

Ich verehre das Wasser, das dem Frühling die Hand reicht

Ich bin die uralte Weltgemeinschaft der Gläubigen

Hast du mich immer noch nicht erkannt

Ich bin es doch

Dessen Wasser so kühl sind, Avaşîn

 

Viele Male habe ich Bräuche aufgeschrieben und gelöscht

Jeder Ort, den ich besuchte, war stets ein Freudenfest

Jugend entstand in meinem wirbelnden Fliessen

Meine Kinder schrieben stets Epen auf meinen Namen

Hoffnung türmte sich in rebellischen Augen

Ein Gruss allein wurde zum Grund für tausend Leben

Es reicht, dass die Sonne aufgeht, die den Morgen rötet

Es reicht, dass die Kraft meinen Leib nicht verlässt

Wie könnte Verrat mich den Kopf beugen lassen

Ich bin der Segen des Lebens, der hohen Räten die Hand reicht

Der unschlagbare Triumph vieler Völker

Ich bin der Wohnsitz freien Lebens, den niemand umzingelt

Ich bin der Beweis für die Freiheit des Daseins

Hast du mich immer noch nicht erkannt

Ich bin es doch

Der den Bergen Umriss und Würde verlieh, Avaşîn

 

 

*Kawa oder Kawe. Der Schmied Kawa ist eine Gestalt aus der iranischen Mythologie, der einen Aufstand gegen den grausamen Fürsten Azhi Dahaka angeführt haben soll. Symbol des Widerstandes

 

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