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Tausendundein Schmerz – (Romanauszug_Teil 2)

Hussein Mohammadi
Kunstwerk zum Text Hussein Mohammadi von Hamgama Amiri © Towards Gallery, Toronto Ontario
Hangama Amiri, Night Visit, 223,52 cm x 200,66 cm, Chiffon, Musselin, Baumwolle, Wildleder, bedruckte Textilien, Samt, Satin, Polyester, Chiffon, Seil, Acryl und Marker auf Stoff (2021) © Foto: Towards Gallery, Toronto Ontario

Layla legte auf. Sie schob das Telefon zur Seite und fuhr fort, das Gemüse zu waschen. Zügig und sorgfältig trennte sie die ungenießbaren Teile ab und warf die essbaren in ein Körbchen. Ihre sechsjährige Tochter saß an die Wand gelehnt auf dem Boden im Wohnzimmer. Auf ihren Knien lag ein Kissen, auf dem ein Säugling schlief. Das Mädchen schaukelte den Säugling mit den Knien hin und her und summte ihm Kinderlieder vor, die sie von der Mutter gelernt hatte, um den kleinen Bruder in den Schlaf zu wiegen. Sie war jetzt in einem Alter, in dem sie ihrer Mutter bei den Arbeiten im Haus eine große Hilfe sein konnte. Sie war ein ruhiges Mädchen, stets bemüht, sämtliche Aufgaben, die ihr die Mutter übertrug, so gut wie möglich zu erledigen, um keinen Ärger auf sich zu ziehen.

Neben der Küche bei der Eingangstür saß Yousef. Er lehnte an ein Kissen und hatte, wie das seine Gewohnheit war, das Radio neben sich stehen und lauschte den Nachrichten aus Afghanistan und der Welt. Die Nachrichten zu hören, war in seinem Leben die einzige Gelegenheit zu etwas Zerstreuung. Er hätte gern einen Fernseher gehabt, aber dafür fehlte der Familie das Geld. Aus diesem Grund wurde auch der Strom bei ihnen zu Hause immer wieder abgestellt. Manchmal spazierte er an einem Geschäft für Elektrogeräte vorbei und schaute sich durch die Scheiben die großen und kleinen Fernseher an, in der Hoffnung, einmal einen davon kaufen zu können.

Weil er keine Arbeit hatte auftreiben können, war er heute schon mittags nach Hause gekommen. Jeden Tag ging er zu der Verkehrsinsel, wo morgens die Saisonarbeiter standen, in der Hoffnung, eine Gelegenheitsarbeit zu finden, die sich zu einer längerfristigen Tätigkeit verstetigen würde, wenigstens halbtags. So würde er zumindest eine Zeit lang ohne Kopfschmerzen das Geld für die täglichen Ausgaben aufbringen können und – wichtiger noch – vor der scharfen Zunge seiner Frau geschützt sein. An den Tagen, an denen er nach Hause kam, ohne Arbeit gefunden zu haben, ließ der Streit mit seiner Frau nicht lange auf sich warten. Und heute war einer dieser Tage. Er hatte keine Lust, sich ihre Klagen anzuhören, und vermied es, seiner Frau in die Augen zu sehen. Dass das aussichtlos war, wusste er. Letztlich würde er ihren Spott und ihre verletzenden Worte über sich ergehen lassen müssen. In den Straßen umherzustreifen und erst mit der Abenddämmerung nach Hause zu kommen, war auch keine Lösung. Denn dann erwartete seine Frau, dass er Geld mit nach Hause brächte, und sobald ihr dämmerte, dass er erfolglos umhergelaufen war, machte sie ihm nur umso größere Vorwürfe.

Die Tochter beugte sich zu dem Baby hinab, hob es vorsichtig und unter einiger Anstrengung hoch und legte es in sein kleines Bettchen. Dann fragte sie ihre Mutter leise und zaghaft: «Darf ich mit meiner Puppe spielen?»

«Spiel ruhig», sagte Layla, «aber pass auf, dass du das Kind nicht weckst.» Das Mädchen holte ihre Puppe aus dem Pappkarton und ging damit zum Vater.

«Papa, die Puppe hat ein kaputtes Bein, kaufst du mir mal eine neue?»

Yousef warf einen Blick auf die Puppe und sagte: «Keine Sorge. Wenn ich morgen von der Arbeit komme, repariere ich das Bein und die Puppe wird wie neu sein.»

Das war Laylas Stichwort, ihren Mann unter Beschuss zu nehmen. «Von welcher Arbeit willst du denn morgen nach Hause kommen? Du machst doch nichts anderes, als zu der Verkehrsinsel zu gehen und dort mit den anderen Männern zu schwatzen, bis es Mittag ist. Ich weiß doch, dass unter hundert Männern dort mehr als die Hälfte keine Arbeit findet. Und ich muss hier tagein, tagaus bangen, ob mein Mann es heute wohl geschafft hat und etwas Geld nach Hause bringt.»

Yousef schwieg und so fuhr seine Frau fort: «Ich verstehe einfach nicht, warum du dir keine vernünftige Arbeit suchst.»

Viel schneller, als er beabsichtigt hatte, sprang Yousef auf die Worte seiner Frau an. Er schüttelte kummervoll den Kopf. «Diese Diskussion hatten wir doch schon hundert Mal. Du stellst dir vor, da draußen gäbe es Arbeit in Hülle und Fülle und ich würde mich nur nicht genug darum bemühen. Glaubst du etwa, all die Leute, die sich da draußen für ein Stück Brot versammeln, sind nicht auf der Suche nach einer dauerhaften Beschäftigung? Dass sie keine Familie mit Frau und Kind zu versorgen haben? Beim Tagelöhnern bin ich oft sogar sehr geschickt. Glaub mir, ich zwinge mich lieber unter das Joch harter Arbeit, statt hier deinen Sticheleien und Beleidigungen ausgesetzt zu sein.»

Über Stunden hinweg konnte ihr Wortgefecht so weitergehen. Meistens war es Yousef, der letztlich zurücksteckte und sich die Klagen seiner Frau schweigsam anhörte.

Layla verstummte einen Moment, aber als ihr Mann dies zum Anlass nahm, sich wieder dem Radio zuzuwenden, fuhr sie fort: «Du strengst dich nicht an. Würdest du dich anstrengen, hättest du mittlerweile eine gute Arbeit gefunden. Wenn es morgens mit dem Tagelohn nicht klappt, könntest du dich den Rest des Tages um etwas Längerfristiges bemühen. Stattdessen kommst du nach Hause und spielst an diesem Radio herum.»

Yousef erwiderte: «Ich habe vielen Leuten gesagt, sie sollen mich anrufen, wenn sich etwas Längerfristiges auftut. Das ist nicht an einem Tag getan. Wenn ich den ganzen Tag damit beschäftigt bin, etwas Langfristiges zu suchen, wirfst du mir vor, ich würde herumlungern und meine Zeit vergeuden.»

«Wärst du wirklich auf der Suche nach Arbeit, würde ich nichts sagen», wehrte Layla sofort ab, «aber ich kenne dich zu gut. Auch die Nachbarn sagen, dass du deine Zeit damit verbringst, mit den anderen Männern auf der Straße zu scherzen und dich dort herumzudrücken.»

«Diese Frauen aus der Nachbarschaft!», stöhnte Yousef. «Ich muss da draußen mit den Leuten ins Gespräch kommen, nur so wird man mir irgendwann einmal etwas vermitteln. Du hast überhaupt keine Ahnung, wie es da draußen zugeht, und machst zu viel Lärm darum. Man muss geduldig sein, dann findet sich für alles schon eine Lösung.»

«Ich gedulde mich seit dem Tag, an dem ich dich geheiratet habe«, sagte Layla spöttisch. «Dein Kind da – nächstes Jahr muss es in die Schule gehen, woher soll das Geld dafür kommen? Mit meinen Handarbeiten werde ich es kaum auftreiben können, denn das Geld, das ich dafür bekomme, muss ich schließlich an den Tagen aufwenden, an denen du nichts nach Hause bringst.»

Yousef schüttelte erneut kummervoll den Kopf: «Frau, beschäme mich nicht so vor meiner Tochter! Hör auf, mich so zu erniedrigen! Ich mühe mich auch ab. Es wird schon alles gut werden. Beiß die Zähne zusammen!» Manchmal dachte er sich im Stillen, dass er auch dann nicht von der spitzen Zunge seiner Frau verschont würde, wenn er seine Familie besser durchbrächte. Dass sie dann sicher einfach einen anderen Anlass fände, weil das Sticheln ihr zur Gewohnheit geworden war.

Layla stellte den Korb mit dem sauberen und verlesenen Gemüse zur Seite, faltete die alte Zeitung, in der sie die ungenießbaren Teile gesammelt hatte, zusammen und ging mit dem Korb Richtung Küche. Noch immer schimpfte sie vor sich hin und beklagte ihr Schicksal. Sie wollte nicht ihr ganzes Leben nur damit zubringen, Kinder großzuziehen, in der Küche zu stehen und Kleidung für Gott und die Welt zu flicken. Sie erinnerte sich an all das, was Yousef ihr vor der Hochzeit versprochen hatte. Seine leeren Versprechen wurden zu Wunschträumen, an die sie noch immer dachte. Kleine Träume, die immer unerreichbarer wurden. Sie würde für sich selbst gerne elegante Kleidung für besondere Anlässe nähen. Jetzt hatte sie nichts als die Stoffreste, die von der Kleidung anderer Menschen zurückblieben. Die nähte sie zusammen und machte daraus Kissen- und Deckenbezüge, oder, wenn sie Glück hatte, mal ein Kleidungsstück für ihre Tochter oder das Baby. Wie gerne würde sie einmal eine Pilgerreise nach Maschhad machen oder ihre Verwandten in Pakistan und im Iran besuchen. Oder in einem besseren Viertel wohnen. Auch einen Fernseher hätte sie gerne, oder eine Waschmaschine, alle diese Dinge eben, die zu einem vernünftigen Haushalt gehörten. Diesen kleinen und großen Tagträumen nachzuhängen, bescherte ihr nichts als Unruhe und Schwermut. Trotzdem konnte sie ihren Geist nicht davon reinigen.

Layla hob den Deckel des Kochtopfs an. Das Fleisch war schon gar. Sie schmeckte den Sud ab. Er war ausreichend gesalzen. Sie fügte noch etwas Advieh[1] hinzu und warf einen Blick auf den Joghurt, den sie vergangenen Abend angesetzt hatte. Er war ihr gut gelungen. Es war sogar noch ein bisschen von dem Joghurt übrig, den sie vor einigen Tagen gemacht hatte. Daraus würde sie Dugh[2] machen und das Essen noch etwas üppiger erscheinen lassen können. Mit dieser köstlichen Schmorfleischsuppe konnte sie vor der Familie ihrer Schwester mit einem respektablen Essen aufwarten. Sie hatte sie schon seit Längerem einladen wollen, aber nicht die Möglichkeit dazu gehabt. Sie beneidete ihre Schwester um ihr unbeschwertes Leben. Ihr Ehemann hatte eine gute Arbeit und seiner Frau und den Kindern fehlte es an nichts. Ihre Schwester war älter als sie und immer freundlich zu ihr gewesen. Mehrmals hatte sie Layla finanziell unter die Arme greifen wollen. Aber das ließ Laylas Stolz nicht zu. Dabei hatte ihr eigener Mann schon große Mühe damit, überhaupt das Überleben der Familie zu sichern. Denn Leben, so konnte man das kaum nennen, dieses Abmühen für das Nötigste. Ihre Gedanken wurden durch das Weinen des Babys jäh unterbrochen. Sie wollte schon ihre Tochter rufen, hielt dann aber mit halbgeöffnetem Mund inne. Sie drehte die Flamme auf dem kleinen Herd etwas herunter und ging selbst los, um das Kind aus dem Bett zu nehmen. Sie setzte sich daneben auf den Boden und legte ihm eine ihrer milchgefüllten Brüste an den Mund. Yousef ließ einen Moment von dem Radio ab und warf einen Blick hinüber zu seiner Frau. Aber diese zog die Stirn kraus und wandte sich ab. Das Verhalten seiner Frau ärgerte ihn wirklich sehr. Er sehnte sich nach ihrer Aufmerksamkeit und Zuneigung. Auch wenn er tagsüber ausschließlich mit dem Radio verbandelt zu sein schien.

Layla wiederum mochte wohl schnell mit ihrem Mann aneinandergeraten und sich häufig über ihr Leben und seine Arbeitslosigkeit beschweren. Wenn sie aber im Bett beieinander lagen, war sie sanft zu ihm und friedfertiger. Das Bett war der einzige Ort, an dem sie die Vorwürfe und Feindseligkeiten abstreifte. Obwohl sie mit ihrem Leben unzufrieden war und dies auch bei jeder Gelegenheit lautstark zum Ausdruck brachte, respektierte sie die Bedürfnisse ihres Mannes. Sie hielt seine Kleider sauber und ordentlich und wenn sie geflickt werden mussten, tat sie das ohne Widerrede. Sie bemühte sich, stets ein gutes Essen nach seinem Geschmack zuzubereiten. Diese Zwiespältigkeit zog sich wie ein fester Faden durch das gesamte Gewebe ihres gemeinsamen Haushalts.

Auch heute gab es ein köstliches Essen. Schmorfleischsuppe aß Yousef besonders gern und Layla kochte diesen Eintopf nur, wenn Gäste angekündigt waren. Yousef hatte seine Mutter zu seinem Bruder geschickt, damit sie ein paar Nächte bei ihm im Haus verbrachte. Auf diese Weise teilte die alte Frau für gewöhnlich ihre Zeit zwischen den beiden Brüdern auf. Yousefs Mutter war Laylas Schwester nicht besonders zugetan. Heute würde die Schwester mit ihrer Familie kommen können, ohne dass Reibereien entstünden, und beide Familien würden sich endlich einmal wiedersehen. Yousef konnte sich nicht einmal mehr daran erinnern, wie es zu dieser Missstimmung gekommen und was genau der Auslöser dafür gewesen war. Doch jedes Mal, wenn er vor seiner Mutter auf Laylas Schwester zu sprechen kam, verzog sie unversöhnlich das Gesicht und begann, sich ausschweifend über deren schlechte Eigenschaften auszulassen, wovon sie auch Laylas Gegenwart nicht abhielt. Layla verletzen wollte sie nicht, weswegen sie darauf achtete, immer wieder auch hart mit sich selbst ins Gericht zu gehen. Layla wiederum vermied es, vor ihrer Schwiegermutter von ihrer Schwester zu sprechen. Denn außerhalb dieser Spannungen gab es zwischen den beiden keine größeren Zerwürfnisse und im Grunde kamen sie gut miteinander aus. Der Konflikt zwischen den beiden war für Layla dennoch schwer zu ertragen. Sie ärgerte sich darüber, ihre Schwiegermutter so von ihrer Schwester reden zu hören, wusste aber nicht, wie sie die Schwester verteidigen konnte. Ihre Bemühungen, zwischen den beiden zu vermitteln, waren ebenfalls erfolglos gewesen. Die Probleme hatten schon mit der Hochzeit von Yousef und Layla begonnen und waren durch Kleinigkeiten irgendwann zu einer nicht enden wollenden Fehde geworden, an der sämtliche Vermittler scheiterten. So war die Sturheit der beiden innerhalb der Familie längst zum Gegenstand lustiger Anekdoten geworden.

Yousef war des Herumdrehens an seinem Radio überdrüssig geworden. Die Nachrichten des Tages hatte er bereits mehrmals gehört. Und selbst dann, wenn er sich die Nachrichten gar nicht anhörte, konnte er sicher sein, dass die anderen Saisonarbeiter sie ihm am nächsten Morgen erzählen würden. Aber er wollte nicht bloß zuhören, sondern auch selbst etwas zu berichten haben. Er hörte sich die Nachrichten immer sehr aufmerksam an. Morgen würde er auf dem Saisonarbeiterplatz die anderen Männer nach ihren Meinungen darüber befragen und ihnen auch mitteilen, was er dachte. Dann würde irgendwann ein Fahrzeug vorbeikommen, um ein paar von ihnen zum Arbeiten abzuholen. So konnte man sich die lange Zeit des Wartens vertreiben, während ein Auto nach dem anderen hielt und weiterfuhr. Mit einigen der Männer hatte er sich bereits angefreundet. Manchmal fand diese Gruppe gleich für mehrere Tage Arbeit und dann nahmen sie Yousef mit. Untereinander sprachen sie über alles Mögliche. Sie spekulierten über die Zukunft des Landes, sprachen über die Selbstmordanschläge der Taliban und was diese gerade sonst noch so trieben, und über Träume, die sie hatten. Allein mit den Worten, die sie an einem dieser Tage austauschten, ließe sich ein ganzes Buch schreiben, ließen sich Geschichten formen. Bei ihnen allen gab es jemanden in der Familie, dem etwas zugestoßen war. Hier war ein Sohn auf eine Mine getreten, dort einer zum Militär gegangen und in abgelegenen Gebieten von den Taliban getötet worden. Ein weiterer war auf seinem Weg nach Europa zwischen der Türkei und Griechenland im Meer ertrunken und wieder ein anderer wurde auf derselben Route von Unbekannten verschleppt. Ihre Söhne starben bei gewaltsamen Auseinandersetzungen, schlossen sich aus Not und Armut kriminellen Banden an und lauerten nachts ahnungslosen Leuten auf oder wurden selbst Opfer solcher Überfälle und verloren dabei ihr Geld oder gleich ihr Leben.

In ihren Nächten hatte Scheherazade dem König einst tausendundeine Geschichte erzählt. In Afghanistan entstehen tausendundeine Geschichte rund um die Uhr. Die Menschen erzählen sie einander und haben darin eine außergewöhnliche Virtuosität entwickelt.

Yousef warf einen Blick auf die Wanduhr. Warum war Najib so spät dran? Er würde bei ihm vorbeigehen. Yousef stand auf. «Ich gehe zu Najib rüber», rief er seiner Frau zu.

Layla kam aus der Küche. »Hatten wir nicht vereinbart, dass er das Obst hier vorbeibringt?», fragte sie.

Yousef sagte: «Ich weiß auch nicht. Deswegen gehe ich ja.»

Er verließ das Haus über ihren kleinen Innenhof. Es war bereits dunkel geworden. Er öffnete das Tor und trat auf die schmale, ungepflasterte Gasse hinaus. Nur wenige Meter lief er nach rechts, bis zum übernächsten Haus. Er klopfte an das Tor. Es gehörte zu einem jener Häuser, in deren großem Innenhof verschiedene größere und kleinere Gebäude standen. Mehrere Familien lebten hier zusammen. Ein kleiner Junge in kurzer Hose und schmutzigem Unterhemd öffnete ihm das Tor. In der Hand hielt er ein Stückchen Brot mit etwas Tomatenpaste. Yousef sagte: «Ich will zu Najib. Kannst du ihn rufen?»

Der Junge lief in den Hof zurück und rief dort laut nach Najib. Kurz darauf erschien Najib im Hof. Als er Yousef sah, biss er sich auf die Lippe und schlug sich an die Stirn. «Way. Ich hab’s vergessen, Herr Yousef.»

«Wir haben heute Abend Gäste, meine Frau bringt mich um», sagte Yousef besorgt.

Najib stand einen Moment lang unschlüssig herum und sagte dann: «Der Fehler liegt bei mir, ich bringe das in Ordnung. Ich nehme gleich das Fahrrad des Nachbarn und besorge euch noch ein paar Früchte.» Noch bevor Yousef etwas entgegnen konnte, war er schon wieder verschwunden und kam kurz darauf mit dem Fahrrad zurück. «Keine Sorge. Ich bin gleich mit dem Obst zurück», sagte er, als er Yousef noch immer so besorgt da draußen stehen sah. Er schwang sich aufs Fahrrad und hatte kurz darauf die Gasse verlassen.

 

*  Der Roman erscheint im Herbst 2022 unter dem Titel Sheherazades Erben im Verlag edition bücherlese.

 

[1] Eine Gewürzmischung, ähnlich dem indischen Masala, deren Zutaten variieren können. Zu den gängigen gehören Zimt, Kardamom und Kumin.

[2] Ein leicht salziges Joghurtgetränk.

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