Butter me up (Auszug)

In BUTTER ME UP wird eine leidenschaftliche und widersprüchliche Beziehung durch Gedichte und Kurzprosa, Fragmente, Dialoge und innere Monologe unter die Lupe genommen. Der folgende Auszug gibt Einblick in die emotionalen Umwälzungen, unerfüllten Wünsche und Projektionen, die die Beziehung hervorruft.
***
Ich bin berühmte Sammlerin
unglücklicher Affären.
Erbärmlichkeit will ich vermeiden,
sammle überall Begehren.
Ich bin unglaublich reich,
denn sie sind unbezahlbar.
Bewahre sie in meinen Kammern,
zerrieben sind sie spritzbar.
Mein Haus könnte Museum sein,
und in der Richtungen Gewühle
ohne gemeinsame Idee, fällt mir nur ein:
Museum der Extremgefühle.
Ich wäre dort der coole Guide,
„Schauen Sie rechts im Zimmer:
Das ist Lena, ich fand sie auf Kreta,
sie war sehr schön, direkt, und ja,
nachts hielt sie gern die Schlinge.“
„Das ist Alex, siebzehn,
hatte Heidenangst mitzugeh’n,
als wir uns trafen.
Sascha war dreißig,
Vitja vierzig.“
Im schlimmen Traum und hier
kann man sie nur zusammen sehen.
In mein Museum kämen alle und niemand.
Nun bin ich über hundert:
Schon lang interessiert mich keiner mehr,
und niemand hat es je betreten.
Einmal fragte er, ob ich mir alle meine Männer an einem Ort versammelt vorstellen könne. Und ergänzte bissig: „Würde ein Zimmer genügen, und wie groß müsste es sein? Hätten sie sich was zu erzählen, was glaubst du?“
Es tat mir unglaublich leid, dass in dieser kleinen, stickigen WG zwischen all den Typen von nun an auch sie eingepfercht sein würde.
***
Ich will nur: Leben. Schaffen. Lieben.
Und praktisch ein Jahrhundert nach
„Nacht. Straße. Laterne. Apotheke“
dasselbe bebende Gefühl erzwingen,
des plötzlich matt Verstummten Stille.
Bislang besteht mein Körper aus Schmerz und Babybrabbeln,
mehr Welle als Gerade, dringt aus dem Radio,
mein Leben schrumpft von Essay zu Interjektion,
niemand bestreitet, niemand übertönt.
Gedanken über Sinn sind Mix aus Blei und Kupfer,
stieren Leuten die Schläfen, damit man sie bemerkt,
in den Ohren lügt und lügt "Don't worry! Be happy!"
Ich verschluck mich an der ultrahochegalen Milch,
kuriere in Teilzeit den Geistesinfekt.
Meine Anfälle wurden häufiger und weniger kontrollierbar. Manchmal konnte ich nicht einmal rauchen – das silberne Mundstück schlug gegen die Vorderzähne wie ein widerliches kleines Ding, wie der Löffel ans Teeglas im ewig verschnörkelten Metalluntersetzer auf dem zerkratzten Tisch eines Zugabteils, das schon längst ausgesondert sein sollte.
In diesen Momenten drückte sie mich zu Boden und presste ihr ganzes Gewicht auf mich. „Komm zurück, Alice!“, wiederholte sie immer wieder und blickte mir fest in die Augen.
Das Parkett, oder die Fliesen, wenn es in der Küche geschah, waren unerbittlich. Ich zappelte, die Knochen knirschten und der Stuck an der Zimmerdecke übertönte dieses Knirschen mit seinem zischenden Geflüster. Ich wollte mich befreien, aber mein Ich fand in dieser Lage keinen Ausweg. So zwang sie mich dazu, bei mir selbst zu bleiben.
Ohne sie entwischte mein Ich immer öfter und weiter. Ich bemerkte die immer dreisteren Spaziergänge und gewöhnte mich an sie, wie auch an die Tatsache, dass ich zwar geteilt wurde, nun aber niemand mehr meine beiden Ichs beherrschen konnte.
***
Verteilt mich in Regale, zerlegt
in Einzelteile, nur findet einen Ort.
Holt mich aus diesem Hohlraum
von Chaos und, noch schlimmer, Ungewissheit.
Ich rannte über den Holzsteg und sprang in den See. Meine Beine stießen sich von den Holzbrettern ab und ich flog. Eine Sekunde, und ich sollte mich im herbstkalten Wasser wiederfinden. Sekunde folgte auf Sekunde, aber ich landete nicht. Gegenüber ragten dreieckige Berge auf. Über mir zogen faule Wolkenkörper dahin – Die große Schönheit, aber ich war noch immer angespannt, strebte nach unten oder zurück. Ich wollte ins Wasser oder an Land, doch ich hing und konnte nichts dagegen tun. Aus Unverständnis wurde Angst, die Vergeblichkeit meiner unmenschlichen Anstrengung löste früher oder später Entsetzen in mir aus. Davon wachte ich in der Regel auf.
Wir hatten die bewusste Entscheidung, uns nie wieder zu begegnen und keine Gründe für Treffen zu suchen, schon zum wiederholten Mal getroffen, aber diesmal setzten wir sie auch um. Schon in der nächsten Nacht wurde der Traum zu meiner einzigen Realität, alles andere wandelte sich in einen Alptraum.
Einhundert Wiederholungen später kannte ich den Traum auswendig – wie viele Fische unter mir durchschwammen, wie viele Wassertropfen in den Wolken hingen, ich hatte die Blätter an den Bäumen gezählt und kannte die Vögel allesamt beim Namen. Schon frühmorgens wartete ich auf den Traum, ich stellte mich auf ihn ein, wenn der Abend anbrach, aber jedes Mal war wie das erste: Ich rannte, um einzutauchen, unternahm dieselben verzweifelten Bemühungen, das Wasser zu erreichen oder an Land zurückzukehren, schaffte es nicht, fürchtete mich und verfiel ob dieser Ausweglosigkeit in Entsetzen.
Etwas setzte mich jeden Tag wieder auf Null.
***
An unserem letzten Morgen sagte ich:
„Ich liebe dich und will bei dir bleiben!“
Sie ergriff meine Hand und zog mich hinter sich her ins Schlafzimmer.
Sie packte mich aufs Bett und fragte, ob ich die Schriftrolle an der Wand gut sehen könne.
„Natürlich, bleib hier! Aber versprich mir, morgens laut vorzulesen, was dort an der Wand steht, wie dein Vaterunser. Die Schlüssel sind wie immer im Briefkasten. Ich wohne bei einer Freundin, bis ich was Neues gefunden habe.“
Sie nahm ihre FREITAG-Tasche, die sie noch nie vollständig ausgepackt hatte, und ging.
Ich blieb auf dem Bett liegen und las laut. Im Rezitativ der Wiederholungen entfaltete sich ein Drama. Am Ende musste ich laut lachen – so ein herziger Kinderfehler.
Ich nahm die Schriftrolle von der Wand und strich jedes Wort durch, das mit „N“ begann.
***
Vor dir – noch kein Leben.
Nach dir – kein Leben mehr.
Ohne dich – Hunger.
In dir – Kälte.
Die Welt – nicht mehr rund.
Die Sonne – brennt den Himmel.
Tage werden Meilen.
Essen nur Bitterkeit.
Gott – aus der Mode.
Seele – in den Schredder.
Ringsum Krieg, zur Genüge.
Wer rief uns denn hierher?
Möchte zerbröseln.
Mich den Vögeln füttern.
Die Beine in den Himmel treten,
irgendwo neu entstehen.
Egal wo,
nur mit dir.
In dieser Zeit werden Ideen statt Menschen gekreuzigt.
Pseudosinn hängt über den Seelen, Stalaktiten gleich.
Man könnte leiden und an Rettung denken,
doch ich mische über Kopf dieses Liebesgericht
und widme dir das nächste Gedicht!
Das ist mehr als eine Sünde!
Das ist die Mündung meiner Obsession!
Denk an mich an meinem Nichtgeburtstag,
lösch das Licht über dir, entfacht von mir.
***
Ich habe dir keine Zeile geschrieben.
Leb ich oder leb ich nicht?
Der Himmel zieht sich zum Punkt zusammen
und formt drei Worte: „Ich liebe dich!“
Du bist zu keinem Geburtstag gekommen.
Vielleicht, weil du noch nicht geboren bist?
Am Tisch – alle Träume und Obsessionen,
ach ja, und der Schmerz, besoffen, Mist.
Niemals haben wir uns getroffen,
auf der Erde sind unsere Plätze nicht.
Schnall dich gut an auf dieser Reise,
unser Ziel, meine Liebe, das Licht.
