Nachdem ich Shukri Al Rayyan Anfang Mai 2021 per Zoom kennengelernt hatte, begannen wir einen Dialog durch die Hervorhebung von einzelnen Wörtern. Ich bat Shukri Al Rayyan um die arabische Entsprechung von deutschen Wörtern, und er schickte mir arabische Wortideen auf Deutsch. Das waren Wortgeschenke, ein schönes Spiel. Ursprünglich dachte ich, dass wir mit den gesammelten Wörtern je einen eigenen Text schreiben würden. Aber das Spiel hatte eine eigene Dynamik. Innerhalb von etwa zwei Wochen hatten sich zwanzig Begriffe versammelt, und da Shukri zu den mir angebotenen Wörtern gleich Hintergrundgeschichten lieferte, ist bereits eine Schilderung entstanden. Mit den Wörtern in der nachstehenden Tabelle kann jeder weiterspielen. Auf die deutsch-arabische Wortliste folgen hier die Erläuterungen Shukris.
Alle E-Mails Shukris kamen mit einer freundlichen Anrede, die ich weglasse, und meine Zwischenrufe fallen ebenfalls weg. So bleibt es bei der Gestimmtheit von Shukris Mitteilungen.
Deutsch | Arabisch | Lateinischer Charakter |
Woche | أسبوع | Üsbut |
Jetzt | الآن | Al Aan |
Es ist Zeit | آن | Aan |
Schatz, Treasure | كَنْز | Kanz |
Charme, Charm | سِحْر | Seher |
Danke | شكرا | Schokran |
Zeichen | علامة | Alama |
Rufen | نادى | Nadaa |
gemeinsam | مشترك | Muschtarak |
Warten | انتظار | Entizaar |
Heiter | بهيج | bahieg |
Meer | بحر | Bahr |
Insel | جزيرة | Jaziraa |
Schiff | سفينة | Safina |
Matrose | بحار | Bahhar |
Überquerung | عبور | Ubur |
Ankommen | وصول | Wosul |
Wolke | غيمة | Ghaima |
liebe, lieber, lieb | عزيز | Aziz |
Wanderschaft | تجوال | Tigwaal |
Zimmer | غرفة | Ghurfa |
Fenster | نافذة | Nafidha |
Buch | كتاب | Kitab |
Himmel | سماء | Sama |
Sehen | يرى | Yara |
Einblick | بصيرة | Basera |
Das Wort Woche ist auf Arabisch Osbut. Osbut stammt vom Wort Sabat, nämlich sieben.
Nun bin ich an der Reihe. Mein Wort ist sehr,(سحر) was gleichzeitig Magie und Hexerei bedeutet.
Ich habe übrigens eine Idee, um den Begriff der magischen Welt deutsch und arabisch darzustellen. Dabei hätten wir Überraschungen!
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Jetzt bedeutet auf Arabisch al Aan. Aan bedeutet: Es ist Zeit.
Die Idee des magischen Weltvokabulars ist eine Antwort auf die Frage: Was können wir mit Wörten tun? Meine spontane Antwort: Wir können eine ganze Welt erbauen, und als Erstes kam mir die magische Welt in den Sinn, wie die Welt in Scheherezades Tausend und eine Nacht gebaut wurde.
Jetzt, zu Beginn unseres Spiels, wäre es keine schlechte Idee, einen Rahmen zu setzen, um weiter nach dem Kanz zu suchen, was Fundgrube oder Schatz bedeutet, und Kanz wäre jetzt zugleich mein neues Wort.
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Die ergänzte Wortliste habe ich angehängt, nachdem ich sie in einer Tabelle so angeordnet habe, wie Du es vorgeschlagen hast.
Mein neues Wort ist Zeichen. Es ist das gleiche Zeichen, das die Diebe an Ali Babas Tür angebracht haben, nachdem sie ihm eines Nachts zu seinem Haus gefolgt waren. Einige Stunden später kamen sie mit dem Rest der Bande, um ihn zu attackieren und den Schatz, den er ihnen aus der Höhle gestohlen hatte, zurückzuholen, aber entsetzt sahen wie, dass an allen Türen der Nachbarschaft das gleiche Zeichen angebracht war!
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Vielen Dank für die neuen Wörter. Mein neues Wort ist Warten.
Warten hat im Arabischen sowohl sprachlich als auch kulturell eine tiefe Bedeutung, die meist mit Schmerz und Hoffnung verbunden ist. In der Liebe, im Glück, im Beruf und mit dem Vermögen oder sogar im Elend gibt es auf dem gesamten Lebensweg einzelne Details des Wartens.
Mohammed wartete auf die Unterstützung Gottes, als die Gegner ihn und seine Anhänger jahrelang in die kargen Berge am Rand einer Stadt verbannt hatten, die inmitten einer gnadenlosen Wüste lag.
Ich betrachte mich übrigens nicht als Muslim, aber Mohammeds Geschichte ist eine riesenhafte Sage, die in der kollektiven Vorstellung der gesamten arabischen Welt nach wie vor eine entscheidende Rolle spielt.
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Im Zusammenhang mit Deinem Wort Meer, habe ich in der Datei Insel angefügt.
Die Inseln bilden ein Hauptteil in einem unserer bedeutendsten Sagen, in Sinbads Reisen.
Der junge Segler erlebte unglaubliche Abenteuer auf hoher See, von denen Scheherazade lange Nächte hindurch erzählte, damit ihr bei Tagesanbruch der Kopf nicht abgeschlagen wurde. Sinbads Abenteuer halfen ihr, ihre Hinrichtung immer weiter hinauszuschieben. Die Todesdrohung war die einzige Autorität des Sultans.
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Die Erwähnung vom Meer, Schiffen und Seeleuten, führt mich zu einem Kern meiner Identität: Überquerung. Normalerweise überquere ich als Flüchtling /Gebiete, ohne ein endgültiges Ziel. Der Ursprung des Wortes hebräisch heißt in etwa cross over, was auf Arabisch ubur bedeutet.
Der erste Mann der Überquerung, war Abraham, der als Flüchtling den Yarmouk in Richtung Palästina überquerte, nachdem er seine Stadt, Ur, verlassen hatte.
Araber betrachten Abraham im Allgemeinen als ihren Ururgroßvater. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Annahme richtig ist, aber für mich als Flüchtling denke ich, dass er mein Großvater ist!
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Ich bin seit sieben Jahren in der Schweiz, aber ich glaube nicht, dass ich wirklich angekommen bin. Am wichtigsten ist dabei vielleicht das komplizierte System, mit dem Flüchtlinge so weit wie möglich weggeschoben werden!
Die Bedeutung des Ankommens, wie Du es schilderst, ist jedoch faszinierend. Ich wünschte, auch sagen zu können, dass mir mein Zimmer genügt, aber die Tatsache, dass ich es verlieren könnte, wie es meiner Familie über Generationen hinweg an vielen Orten geschehen ist, von Palästina über Ägypten bis nach Syrien, hält mich zurück und macht mich vorsichtig. Aber leider ist jede Vorsichtsmaßnahme vergeblich!
Die einzige Möglichkeit, eine echte Verbindung zu einem Ort zu finden, ist jedes einzelne Detail zu kennen. Auf diese Art habe ich Damaskus kennengelernt, um mich in die Stadt zu verlieben und sie dann zu verlieren.
In der Schweiz konnte ich diese „schlechte Angewohnheit“ nicht lassen. Basel, wo das Auffanglager lag, war die erste Schweizer Stadt, die ich kennengelernt habe. Dort bin ich ständig herumgewandert. Ich kann sagen, dass ich über diese Stadt genug Details kenne, und daher konnte ich nicht anders und habe mich in die Stadt verliebt. Aber es war Basel, pflegte ich mir zu sagen, jeder würde die Stadt lieben.
Dann gab es die gleiche Geschichte in Langenthal, dem ersten Ort, wo ich zusammen mit meiner Familie gelebt habe, nachdem wir die Lagerphase hinter uns hatten.
Und jetzt die Geschichte mit Burgdorf, wo meine Frau und ich leben.
Alles Scheitern ist auf diese schlechte Angewohnheit zurückzuführen: herumwandern und versuchen, eine Verbindung herzustellen, nur um sich wieder zu verlieben und dann den Verlustprozess zu durchlaufen.
Wanderschaft ist nun mein nächstes Wort, und es gehört zu meiner täglichen Gewohnheit, seitdem ich den Wunsch verspüre, mich zu verlieben.
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Persönlich kann ich mir einen Raum mit nur vier Wänden und einer Decke, wo es nichts außer dem Fenster gibt, gut vorstellen. Ein Raum mit einem Fenster, mit Aussicht und Überblick, wohin auch immer. Auf alle Fälle gäbe es einen Blick auf das Leben. Ein Fenster ist der wichtigste Teil in jedem Raum, auf der ganzen Welt.
In unserer Wohnung in Damaskus gab es einen Überblick auf die Gasse vor unserem Gebäude, für mich war es das Beste am Haus. Als ich einmal am Fenster saß, war ich, soweit ich mich erinnern kann, erst vier oder fünf Jahre alt, mit einem Käsesandwich in der Hand konnte ich das Leben in unserer Gasse beobachten, während Mama in der Küche oder im Wohnzimmer beschäftigt war. Das werde ich nie vergesse. Mein erster Kontakt mit der Welt außerhalb der Familie ist am Fenster entstanden.
Wenn ich es noch richtig weiß, habe ich später als Erwachsener meine erste Geschichte an einem Fenster zu schreiben begonnen, indem ich das Treiben draußen beobachtete und alles so gut wie möglich zu verstehen versuchte, und einzelne Momente durch meine Vorstellungen ergänzte oder mit dem, was ich von meinen Nachbaren, die sich vor meinem Fenster bewegten, bereits wußte.
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Dein letztes Wort war Buch, es befindet sich jetzt in unserer Schatzkiste. Ich füge Himmel hinzu. Ich glaube, Bücher und Himmel haben eine sehr enge Verknüpfung, da beide keine Grenzen haben und offene Räume zum Fliegen sind.
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In den letzten zwei Wochen war ich mit einer schönen Angelegenheit beschäftigt. Ich habe den ersten Entwurf von Revolution Tale vorbereitet, den zweiten Teil meiner Trilogie der Syrian Tales.
Es war sehr emotional, noch einmal das zu lesen, was ich vor Jahren zu schreiben begonnen und beendet habe. Es war, als würde ich mit der Zeitmaschine zu dem Zeitpunkt zurückkehren, an dem ich mit den gleichen Emotionen zu schreiben begonnen hatte, einschließlich der Angst, verhaftet zu werden, wobei sie dann meine Akten gesehen und was ich geschrieben habe, gelesen hätten. Ich konnte mich sogar an die eine oder andre Stelle erinnern, an dieses oder jenes Kapitel und an den emotionalen Zustand, als ich mit diesen Arbeiten fertig war.
Sehen bedeutet auf Arabisch etwas mehr als nur sehen. Der Wortstamm ist Meinung.
Sehen ist die Handlung desjenigen, der einen Standpunkt hat und seine Meinung äußert. Dies zeigt, welches Verbrechen das Regime begeht, indem es uns völlig blind haben will.
Mein neues Wort ist ähnlich wie sehen: Einblick. Das geht tiefer als das Sehen, es ist das Zusammenwirken von Weisheit und Wissen. Da uns der Diktator zu Blinden machen will, ist das innere Sehen eine Form des Widerstandes. Die einzige Wahl ist, manchmal jahrzehntelang auf den Einblick (die Einsicht) zu vertrauen und auf die Zeit der Enthüllung zu warten. Und diese Zeit kommt immer in Form einer Revolution.
Das E-Mail-Gespräch ist im Rahmen von „weiterschreiben.ch“ entstanden. Das Projekt existiert in Deutschland seit Jahren, wurde in der Schweiz im Mai 2021 gestartet. Bei diesem Projekt geht es um Impulse für die hierzulande schreibenden fremdsprachigen Autoren.
Korrekturen in Shukri Al Rayyans auf Deutsch verfassten Nachrichten stammen von mir.
Zsuzsanna Gahse
Hinweis der Redaktion: Dieser Text erschien erstmalig in Saiten – Ostschweizer Kulturmagazin Nr. 313.