Lubna Abou Kheir und Ivna Žic arbeiten im Rahmen des Theaters Neumarkt schon länger zusammen. Wenn Lubna prüfen will, wie ihre Worte klingen, schickt sie sie zuerst in den Resonanzraum von Ivnas Ohr. Wenn Ivna Deutsch neu entdecken will, spricht sie Lubnas Worte laut vor sich hin. Dass all das hochpolitisch und leichtfüssig zugleich ist, wundert die beiden überhaupt nicht. Diesen Text haben sie gemeinsam geschrieben: trauer vakuumzeit hoffnung

Wenn wir sprechen, sprechen wir Gegenwart

13. August 2021, Europa

Liebe Lubna,

kürzlich wurde ich gefragt, ob mein Name ein Tippfehler sei.
Namen sind Lose, las ich einst und schreibe es nach, schreibe es fort, in diese lose Lücke hinein. Begegnungen sind ebenfalls Lose, wenn sie bleiben, füllen sie etwas auf. Manchmal eine Lücke, von der wir davor nichts wussten, die wir nicht in uns ahnten. Doch ist der neue Mensch da, ist die Begegnung eine Kette, die bleibt, fragen wir uns nach dem Davor und wollen die fehlende Zeit, die nicht die gemeinsame war, so schnell es geht nachholen. Das ist Beziehung. Unerwartete Sehnsucht nach gemeinsamer Geschichte. Beziehung ist Erzählung.
Namen sind Lose, so auch der Ortsname unserer Geburtsstadt, der Grossmuttername, verdeckt durch die Heirat mit einem Mann, der Strassenname des Elternhauses, der Name des ersten Kusses, der Name der ersten Beleidigung, die wir erfahren – und schliesslich auch der Stadtname, der heute unseren Wohnort benennt und unsere Begegnung mitschreibt.

Liebe Lubna, deine fünf Buchstaben und meine vier, rätselhaft verschlungen, freundschaftlich tanzen sie durch Gassen, die von ihnen davor nicht gehört haben. Wir verbinden uns mit Strassennamen, die uns nun auch umgeben, die ohne unsere Geschichten lange standen und nun in Erwartung dieser zuhören.

Liebe Lubna, wenn wir sprechen, sprechen wir Gegenwart. Du und ich auch. Nicht gleich, eher anders, manchmal unerwartet ähnlich, nur manchmal, doch gegenwärtig zusammen. Findest Du das auch?

Unsere Geschichten schwingen und verästeln sich, umschlingen andere Buchstaben, Worte, die wir suchen, die wir finden.

Manchmal fragen sie uns: Ist das ein Tippfehler?

Und wir sagen, klar und ehrlich: Nein.

Nein, das ist unsere Sicht- und Hörweise, das ist unser Geschmack, unsere Mundbewegung in dieser Sprache, das ist unser Rhythmus, so tanzen wir in diesen Strassen – das ist unsere Verbindung, in der wir Gegenwart mit schaffen. In der wir Raum schaffen, ihn vergrössern, in dem wir alle leben. So hören und fühlen wir.

Und wir fragen euch: Kommt ihr dazu?

Und wir bitten euch, höflich, aber ebenso klar und ehrlich, uns neue Fragen zu stellen.

Herzliche Grüsse
Deine Ivna